Bemerkenswert auf Facebook: Wie sogar eine Löschorgie zu einem Imagegewinn führen kann. Die schwul-lesbische Community feiert den Fernsehsender VIVA für den Umgang mit homophoben Kommentaren. „“Schwul“ ist keine Beleidigung und sollte als solche auch nicht verwendet werden“, schreibt der Sender, nachdem er hunderte diskriminierende Sprüche seiner Fans zum neuen Style von Bill Kaulitz entfernt hatte. In anderen Ecken des Netzes wird Homophobie kultiviert und gepflegt – zum Beispiel auf einer Fanseite des Hamburger SV.
Bill Kaulitz, der Frontmann von Tokio Hotel, hat mich vor sieben Jahren vor allem mit seiner Manga-Frisur beeindruckt – wieviele Stunden braucht man für sowas bloß? Seinen Hang zum extravaganten Style hat er auch mit mittlerweile 22 Jahren nicht verloren, er polarisiert damit genauso wie früher. Es war zu erwarten, dass eine Masse von Dumpfbacken auch das Foto mit seinen blaugrau-gefärbten Haaren als Anlass für neue Postings wie „Schwuchtel“ und „voll schwul“ nutzen würde. Ich habe mich schon damit arrangiert, dass in manchem Umfeld der Kampf gegen Homophobie aussichtslos scheint. Was sich aber am Mittwoch vergangener Woche auf der Facebook-Seite von VIVA abgespielt hat, das hat mich erstaunt und lässt mich hoffen.
Nur drei Minuten bis zur ersten Warnung
VIVAs Social-Media-Redakteure waren offenbar vorbereitet: Es dauerte keine drei Minuten, bis das Foto mit der ungewöhnlichen Haarpracht schon zig Kommentare hatte und VIVA die erste Warnung darunter setzte. „Homophobe Kommentare werden sofort gelöscht! „Schwul“ ist keine Beleidigung und sollte auch nicht als eine verwendet werden. In Extremfällen müssen wir User leider bannen und melden“, heißt es unmissverständlich. Der Ankündigung folgten Taten, nach Angaben der Redaktion wurden hunderte Postings gelöscht. Tatsächlich sind nun unter den verbliebenen knapp 300 Kommentaren auch gelinde gesagt Unmutsbekundungen zu finden, aber von schwulenfeindlichen Kommentaren keine Spur.
Diesen Kampf hätte nicht jeder aufgenommen
Schon dieses konsequente Eingreifen ist keine Selbstverständlichkeit, aber einen Tag später setzte VIVA noch eins drauf. Auf Facebook verlinkte der Sender eine lange Stellungnahme. Die Redaktion beklagt, ihre Facebook-Seite sei zum Forum für schwulenfeindliche Sprüche geworden, und sie wirbt für Solidarität gegenüber Homosexuellen. Ein Vorgehen, für das Kommunikationsberater Dennis Sulzmann Bestnoten vergibt: Bei der Löschaktion habe VIVA nicht nur die Grundregel eingehalten, auch die Gründe zu nennen. „Der Sender hat die ausgeartete Diskussion eingefangen und sich unmissverständlich positioniert“, so Sulzmann, „dass VIVA hier in einem ernsten Thema Verantwortung gezeigt und sich zu Werten wie Toleranz und Offenheit bekannt hat, stärkt die Reputation des Senders.“ Tatsächlich wurde VIVA dafür auf der eigenen Facebook-Seite regelrecht gefeiert, Community-Portale wie Gays.de haben den Link geteilt, queer.de berichtete in einem eigenen Artikel. VIVA hat es geschafft, eine Löschorgie geschickt für einen Imagegewinn zu nutzen. Auf der Seite von MTV, ebenso wie VIVA im Viacom-Konzern, hat sich das Gleiche abgespielt. Abseits von jeder PR: Den Kampf gegen im Sekundentakt eintrudelnde homophobe Sprüche hätte nicht jeder aufgenommen.
Die „schwulste Sau der Welt“ ist noch online
Dass es im Netz auch anders zugeht, war eine Woche vorher an anderer Stelle zu verfolgen. Eine HSV-Fanseite postet eine Fotomontage von Tim Wiese mit dem Spruch: „Lust auf ein Abenteuer, Süßer? Dann triff mich auf der Bremen-Gay-Line im Weserstadion“. Die Fans johlen, verbreiten das Foto weiter. „Scheiß Bremer Schwuchtel“, ist bis heute unter dem Foto zu lesen, auf dem gleichnamigen Personenprofil schreibt jemand: „Tim Wiese, die schwulste Sau der Welt“. Gerne hätte ich die Motive des Admins weiter ergründet und zum Beispiel gewusst, wo seiner Meinung nach die Grenzen der Auseinandersetzung zwischen Fangruppen sind und wie solche Art von Humor mit dem Engagement des HSV gegen Rassismus und Homophobie vereinbar ist. Auf meine Fragen habe ich allerdings keine Antwort erhalten. Als Kommentar habe ich wenigstens das Video gepostet, in dem HSV-Nachwuchsleiter Bastian Reinhardt über Schwule im Fußball spricht:
(Disclosure: Das Video stammt von der Siegerehrung des StartschussMasters, für das ich ehrenamtlich die Pressearbeit übernommen habe.)
Dank an Martin S. für den Hinweis auf das Tim-Wiese-Foto.
Es ist auf der HSV-Fan-Seite nicht das einzige Bild von Wiese welches ihn beleidigen soll. Ob es etwas bringt, die Seite dem HSV zu melden? Facebook habe ich sie schon gemeldet.
Solche Sachen wie Tim Wiese als Schwein (wenn du das meinst) sehe ich eigentlich recht entspannt. Eine gewisse Würze macht ja die Rivalität zwischen Fans auch aus. Rot sehr ich dann, wenn wirklich die Grenze zur Diskriminierung überschritten ist. Melden bringt glaube ich nicht so viel. Meine Idealvorstellung ist: Stellung beziehen. Es wäre schön, wenn irgendwann auch mal soziale Kontrolle untereinander funktioniert und die eigenen Fans dazwischen grätschen.
Das Engagement ist ehrenwert, die Rede von Bastian Reinhardt beeindruckend. Aber homophob beschimpfte Künstler gibt es gerade unter den Teenageridolen reichlich. Die meisten dieser „Hater“ haben sich schon längst von Bill Kaulitz Justin Bieber zugewandt und auch dem werden wieder jüngere Künstler folgen. Wichtig ist solche Aktion vor allen, weil die in diesen Sprüchen enthaltene Homophobie den meisten wahrscheinlich nicht klar ist. Entsprechende Sprüche kommen auch von Menschen, die nach eigenem Selbstverständnis „gar nichts gegen Schwule haben“, den Begriff aber dennoch als Schimpfwort verwenden. Fast alle Männer neigen dazu, ihren Konkurrenzkampf über die Potenz auszutragen, über die eigene Männlichkeit im Vergleich zu der des anderen. Und genau diese Verbindung (Schwul=Unmännlich) ist aus den Köpfen dabei nicht herauszubekommen. Deshalb wird es immer wieder funktionieren, wenn schon Pubertierende gerade diejenigen, die von ihren Freundinnen angehimmelt werden, als schwul und weibisch abwerten, um sich aufzuwerten, ohne darin eine Diskriminierung zu sehen, weil sie ja nur den einen meinen. Und genau deshalb ist es auch so schwer, die Homophobie aus dem Sport zu bekommen.
Bisher haette ich „Schwul“ nicht als beleidigend benutzt. Jetzt werde ich das jedoch tun.
Gruss von den „schwulen Antifa Modulen“ … Hamburg ist braun-weiss – und schwul!
ja sorry, aber scheisse sieht bill schon aus 🙂
in den 80ern war des bei boy george evtl noch legitim, der steht wenigstens zu seiner neigung, aber wer aussieht wie boy george muss sich nicht wundern wenn er mit ihm verglichen wird *G*
Bastian Reinhardt ist kein Vorstandsmitglied, was in dem Video auch klar wird.
@Blubb: Danke für den Hinweis, ich hab’s korrigiert.
Ich finds irgendwie amüsant, dass das Bild von Bill Kaulitz „kaulitz_homoalarm“ benannt wurde.
Ich glaube homoalarm dürfte auch zu den gelöschten Kommentaren gehören…^^
Das alles ist voll schwul!
Ob im positiven oder negativen Sinne muss jeder für sich selber entscheiden und kein selbsternannter Moralapostel.
Da kann sich ntv netzreporter ein Scheibchen von abschneiden! Obwohl bei ntv gerne unangenehme Wahrheiten bzw. User, die zu Polemik tendierende User darauf hinweisen gelöscht werden.
Zitat Florian:
„Fast alle Männer neigen dazu, ihren Konkurrenzkampf über die Potenz auszutragen, über die eigene Männlichkeit im Vergleich zu der des anderen. Und genau diese Verbindung (Schwul=Unmännlich) ist aus den Köpfen dabei nicht herauszubekommen.“
Dass nenne ich mal sortenreine Heterophobie.
Klingt eher wie „Emma“.
Upps:
Wieso neigen „Männer“ dazu?. Sind schwule Männer keine Männer?
Ein Paradoxon.
@Urmel:
Ich habe keine Trennung vorgenommen, sondern homosexuelle Männer in diese Beobachtung eingeschlossen. Von Heterophobie kann also keine Rede sein. 😉
Herrje, hier hat offenbar jemand seine Homosexualität zum Beruf gemacht. Kein Wunder, dass Schwule so beliebt sind, wenn sie alles blind als Beleidigung fehlinterpretieren.
Welche Worte konkret werden denn Deiner Meinung nach blind als Beleidigung fehlinterpretiert?
@Dengel
Pfffft.
Lebe Dein Selbst..
Wünsche ich Dir.
Ich finde es schon traurig, dass man sich in unserer Gesellschaft, überhaupt rechtfertigen muss, wen oder was man liebt 🙁
Es wird immer noch wie eine ansteckende Krankheit gesehen und das bedauerlichste ist, dass besonders junge Leute, nicht frei davon sind.